In quantenmechanischen Systemen wird das Auftreten von Übergängen zwischen einzelnen Energieniveaus durch sogenannte Auswahlregeln bestimmt. Diese geben Auskunft, ob ein Übergang zwischen zwei Energieniveaus unter Emission oder Absorption eines Photons möglich ist oder nicht. Dieses grundlegende Phänomen haben wir bereits im Zusammenhang mit dem Auftreten von bestimmten Spektrallinien im Wasserstoffatom in Abschnitt 12.4 angesprochen. In diesem Kapitel untersuchen wir nun allgemein unter welchen Umständen ein quantenmechanisches System von einem stationären Zustand in einen anderen übergeht und leiten daraus die Auswahlregeln für die harmonische Oszillation einer Ladung und für das Wasserstoffatom her.
Nach Abschnitt 9.4 existieren stationäre Zustände nur dann, wenn das Potential eines Systems nicht explizit von der Zeit abhängt. Befindet sich ein solches System in einem stationären Zustand verweilt es in diesem Zustand , solange es nicht gestört wird. In der Realität ist die Lebensdauer in einem stationären Zustand jedoch in jedem Fall durch die Wechselwirkung des Systems mit den Vakuumfluktuationen des elektromagnetischen Feldes, die zu spontaner Emission führen, begrenzt. Des Weiteren könnte das System durch eine externe elektromagnetischen Welle (Strahlungsfeld) gestört werden, eine Wechselwirkung die, wie wir bereits kennengelernt haben, zu Absorption oder stimulierter Emission führt. Diese Wechselwirkung kann man derart betrachten, dass dem zeitlich konstanten Potential , welches die Energieniveaus des Quantensystems bestimmt, ein zeitlich oszillierendes Störpotential überlagert wird. Auf die Wechselwirkung des quantenmechanischen Systems mit elektromagnetischer Strahlung werden wir hier eingehen. Dabei beschreiben wir das Strahlungsfeld durch eine klassische elektromagnetische Welle. Diese Betrachtung nennt man daher auch semiklassisch. Strenggenommen müsste jedoch auch das Strahlungsfeld quantisiert werden, wie wir es beim harmonischen Oszillator kennengelernt haben, ein Aspekt, der im Rahmen der Quantenoptik diskutiert wird.
Auch wenn die semiklassische Betrachtung einige experimentelle Beobachtungen, wie die spontane Emission, nicht erklären kann, liefert sie trotzdem eine gute und einfache Vorstellung für einen Übergang zwischen zwei stationären Zuständen eines Systems. Wir werden sie daher weiterverfolgen und für eine rein quantenmechanische Behandlung auf weiterführende Literatur (siehe z.B. [11]) verweisen.
Nach den Regeln der klassischen Elektrodynamik strahlt eine oszillierende Ladungsverteilung elektromagnetische Wellen ab. Dieses Konzept soll nun auf eine quantenmechanisch beschriebene Ladungsverteilung angewendet werden. Wir betrachten dazu ein Teilchen (Elektron) der Ladung , dessen Zustand durch die Wellenfunktion beschrieben wird. Die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen (Elektron) zur Zeit im Volumenelement um den Punkt , , anzutreffen ist . Daraus resultiert eine Ladungsdichteverteilung , die gegeben ist durch
Die Integration über den gesamten Raum ergibt entsprechend die Ladung
Nehmen wir nun an, das System befinde sich in einem stationären Zustand . Folglich hängt dann die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte und damit die Ladungsdichte nicht von der Zeit ab. Nach der klassischen Elektrodynamik würde ein solches System demzufolge keine elektromagnetische Strahlung aussenden.
Wie in der Einleitung des Kapitels erwähnt, nehmen wir jedoch an, dass sich das betrachtete System zusätzlich in einem Strahlungsfeld befindet, das durch eine klassische elektromagnetische Welle beschrieben wird. Zum Potential , das nicht explizit von der Zeit abhängt, kommt dann ein Störpotential hinzu, das explizit von der Zeit abhängt. Es ist dann die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung zu betrachten, deren Lösungen in diesem Fall keine stationären Lösungen mehr sind. Bevor wir diese Berechnung in unserem semiklassischen Modell durchführen, zeigen wir an den Beispielen eines quantenmechanischen harmonischen Oszillators und des Wasserstoffatoms, dass nichtstätionäre Zustände existieren, welche oszillierenden Ladungsverteilungen entsprechen. Ein System, das sich in einem solchen Zustand befindet, sendet dann elektromagnetische Strahlung aus.
Wir betrachten ein Teilchen der Masse und der Ladung , welches eine harmonische Schwingung in einer Dimension ausführt und somit durch das Modell des quantenmechanischen Oszillators beschrieben werden kann. Die stationären Zustände eines solchen Teilchens sind gegeben durch
mit wie in (10.44).
Das Teilchen befinde sich nun in einem nichtstationären Zustand , der durch eine Linearkombination des Grundzustands und des ersten angeregten Zustands beschrieben werden kann
wobei , angenommen wird, damit das Skizzieren der Funktionen einfacher fällt1. Wir könnten zum Beispiel explizit den einfachen Superpositionszustand mit betrachten. Aus der Darstellung in der zweiten Zeile in (15.4) ist ersichtlich, dass wir die Linearkombination als Produkt eines (physikalisch) unbedeutenden Gesamtphasenfaktors, der sich im Absolutquadrat der Wellenfunktion nicht bemerkbar macht, mit einer Summe auffassen können. Diese Summe besteht aus einem zeitlich konstanten Term und einem mit der Frequenz oszillierenden Term. Wir betrachten nun diese Wellenfunktion sowie die entsprechende Ladungsverteilung für drei unterschiedliche Zeitpunkte, zum Zeitpunkt , sowie nach einer halben () und nach einer ganzen Periode () dieser Oszillation:
Aus den Abb. 15.1 (d) - (f) wird ersichtlich, dass sich der Ladungsschwerpunkt von rechts () nach links () und wieder zurück nach rechts () bewegt. D.h. im betrachteten nichtstationären Zustand pendelt der Ladungsschwerpunkt hin und her mit der Schwingungsperiode . Die Kreisfrequenz der Schwingung beträgt . Wir untersuchen nun diesen Sachverhalt für zwei unterschiedliche Anfangszustände etwas genauer.
Als erstes nehmen wir an, dass der Oszillator ursprünglich im Zustand ist. Man kann sich dann vorstellen, dass er unter Emission eines Photons der Energie in den Grundzustand übergeht. Dieses Photon kommt zum ursprünglichen Strahlungsfeld hinzu. Das Emissionsphänomen kann entweder durch die Vakuumfluktuationen hervorgerufen worden sein, in diesem Fall spricht man von spontaner Emission, oder durch ein bereits existierendes Strahlungsfeld induziert worden sein, wobei man von stimulierter Emission spricht.
Nun betrachten wir den zweiten Fall, in dem der Oszillator ursprünglich im Zustand ist. Er wird dann dem externen Strahlungsfeld ein Photon der Energie entziehen und dabei in den Zustand übergehen. In diesem Fall sprechen wir von Absorption elektromagnetischer Strahlung.
Diese Betrachtung impliziert, dass die Koeffizienten und in der Entwicklung (15.4) des nichtstationären Zustands nach den beiden ersten Eigenfunktionen des Hamilton-Operators von der Zeit abhängen. Zum Beispiel befindet sich im Fall der Absorption der Oszillator ursprünglich im Zustand , d.h. vor dem Eintreffen der Störung ist und . Wird dann ein Strahlungsfeld der Frequenz hinzugeschaltet, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit , den Oszillator im Zustand anzutreffen, von null ausgehend zu und umgekehrt die Wahrscheinlichkeit , den Oszillator im Zustand anzutreffen, von eins ausgehend ab.
Es sei bemerkt, dass wir aufgrund unserer Wahl des Zustands durch (15.4) den harmonischen Oszillator auf die niedrigsten zwei Zustände (Grundzustand und erster angeregter Zustand) beschränkt haben, d.h. wir haben ein sogenanntes Zwei-Niveau-System betrachtet. Im Allgemeinen wird der harmonische Oszillator im Strahlungsfeld jedoch durch einen nichtstationären Zustand beschrieben, der als Linearkombination aller Eigenfunktionen des ungestörten Hamilton-Operators geschrieben werden kann
In diesem Fall muss unser einfaches Modell entsprechend erweitert werden. Zum Beispiel treten in einem angeregten Zustand () Absorption oder stimulierte Emission gleichberechtigt auf.
Als Beispiel für einen nichtstationären Zustand für das Wasserstoffatom betrachten wir eine Linearkombination des -Zustands und des -Zustands. D.h. es gilt
Analog zum quantenmechanischen harmonischen Oszillator kann man auch hier zeigen, dass diese Linearkombination einem oszillierenden Ladungsschwerpunkt entspricht. Die Schwingung erfolgt entlang der z-Achse mit der Frequenz . Folglich ist es möglich, dass das Elektron des Wasserstoffatoms durch Absorption oder (stimulierte) Emission eines Photons der Frequenz den Zustand wechselt. Die Frequenz entspricht dabei dem Energieunterschied der beiden beteiligten Zustände geteilt durch das Plancksche Wirkungsquantum .
Im letzten Abschnitt haben wir an den beiden Beispielen quantenmechanischer harmonischer Oszillator und Wasserstoffatom gesehen, dass ein quantenmechanisches System (Teilchen, Elektron) in einem externen Strahlungsfeld seinen Zustand aufgrund von stimulierter Emission oder Absorption wechseln kann. Das Ziel ist es nun die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung für ein Teilchen (Elektron) im Strahlungsfeld zu lösen und dadurch diese beiden Vorgänge stimulierte Emission und Absorption zu beschreiben.
Für unsere semiklassische Berechnung treffen wir die folgenden Annahmen:
wobei die Amplitude des elektrischen Felds der elektromagnetischen Welle und deren Frequenz ist. Dieser Störkraft lässt sich mit Hilfe der Beziehung ein Störpotential zuordnen. Es gilt
Wir nehmen nun an, dass das Störpotential so beschaffen ist, dass das Teilchen (Elektron) vom stationären Zustand in den stationären Zustand übergeht, wobei
Hier sind bzw. die Quantenzahlen, die den Zustand beschreiben. Nach Abschnitt 15.1 erwarten wir, dass dies erfüllt ist, wenn . Ebenfalls nach Abschnitt 15.1 wählen wir als Ansatz für den nichtstationären Zustand , in welchen das Teilchen (Elektron) durch die Störung, bewirkt durch das Strahlungsfeld, übergeht
wobei, wenn wir uns auf zwei mögliche Zustände beschränken (Zwei-Niveau-Näherung), die folgende Normierungsbedingung gilt
Es sei bemerkt, dass bei einer Messung das Teilchen (Elektron) mit der Wahrscheinlichkeit im Zustand oder mit der Wahrscheinlichkeit im Zustand , gefunden wird, wobei sich die Mittelwerte von und in der Zeit ändern (siehe Abschnitt 15.1). Folglich befindet sich das System zu keinem Zeitpunkt in einem Zustand, der „zwischen“ den beiden stationären Zuständen und liegt.
Wir berechnen nun ausgehend von diesen Annahmen die zeitliche Änderung des Koeffizienten und damit die zeitliche Änderung der Wahrscheinlichkeit das Teilchen (Elektron) im Zustand anzutreffen. Mit Hilfe von (15.18) ergibt sich daraus dann die zeitliche Änderung der Wahrscheinlichkeit das Teilchen (Elektron) im Zustand anzutreffen.
Für das ungestörte Teilchen (Elektron) ist der Hamilton-Operator gegeben durch
Die entsprechende zeitabhängige Schrödinger-Gleichung lautet
und wird durch die beiden stationären Zustände und gelöst. Ebenfalls ist die Linearkombination , gegeben durch (15.17), Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung, da diese linear und homogen ist.
Wir fügen nun das zeitabhängige Störpotential hinzu. Die neue zeitabhängige Schrödinger-Gleichung lautet dann
Die stationären Zustände und sind dann aufgrund der Zeitabhängigkeit des Potentials keine Lösungen der neuen zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung. Hingegen ist die Linearkombination , gegeben durch (15.17), eine Näherungslösung, wenn die Koeffizienten und eine geeignete Zeitabhängigkeit haben. Wir ändern daher unseren Ansatz (15.17) insofern, dass wir den beiden Koeffizienten und eine Zeitabhängigkeit hinzufügen, d.h. es gilt
Wie bereits erwähnt, nehmen wir zusätzlich an, dass sich das Teilchen vor dem Einschalten der Störung im Zustand befindet, d.h. wir betrachten die Anfangsbedingung
Zur Berechnung der Zeitabhängigkeit von gehen wir nun von der zeitab-hängigen Schrödinger-Gleichung (15.21) aus und setzen unseren neuen Ansatz (15.22) für die Wellenfunktion ein. Es ergibt sich
Da und Lösungen der ungestörten zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung (15.20) sind, kürzen sich einige Terme gegenseitig weg und wir erhalten
Wir multiplizieren nun die Gleichung von links mit und integrieren über den gesamten Raum. Es ergibt sich
Somit ergibt sich für die zeitliche Änderung des Koeffizenten das folgende Resultat
Wir berechnen nun die Lösung dieses Ausdrucks für schwache, streng monochromatische Strahlung, d.h. wir betrachten ein Teilchen (Elektron) der Ladung im Strahlungsfeld, das die folgenden Annahmen erfüllt:
Damit vereinfacht sich (15.28) zu
Mit (siehe Gl. (15.14)) erhalten wir
wobei Matrixelement des Übergangs für längs der x-Achse polarisierter elektromagnetischer Strahlung genannt wird. Dabei gilt die Regel:
Wenn das Matrixelement endlich ist, dann ist der Übergang erlaubt und wenn es verschwindet, dann ist er verboten.
Im Fall eines nichtverschwindenden Matrixelementes entspricht der Zustand einem oszillierenden Ladungsschwerpunkt und im Fall eines verschwindenden Matrixelementes steht der Ladungsschwerpunkt still. Die Bezeichnung Matrixelement rührt daher, dass man die möglichen Übergänge in einem System mit mehreren stationären Zuständen in der Form einer (hermiteschen) Matrix übersichtlich darstellen kann. Wir betrachten nun die Eigenschaften der Matrixelemente etwas genauer.
Wir betrachten als erstes die Diagonalelemente multipliziert mit der Ladung und erhalten
D.h. der Ausdruck entspricht dem Erwartungswert der x-Komponente des elektrischen Dipolmoments des Teilchens (Elektrons) im Zustand . Zum Beispiel verschwindet dieser Erwartungswert für die stationären Zustände des Wasserstoffatoms, was bedeutet, dass das Wasserstoffatom kein permanentes Dipolmoment besitzt.
Wir kommen zu den nichtdiagonalen Elemente und betrachten dazu den Zustand
Der Erwartungswert für das elektrische Dipolmoment beträgt für diesen Zustand
Das erste und das letzte Integral verschwinden sowohl für das Wasserstoffatom als auch für den quantenmechanischen harmonischen Oszillator. Das Integral in der Mitte ist reell, denn es stellt den Realteil von
dar. Es ergibt sich somit mit und
D.h. bei gleichen Entwicklungskoeffizienten ist die Amplitude der Schwingung des Erwartungswerts des elektrischen Dipolmoments.
Beim Wasserstoffatom werden die nichtdiagonalen Matrixelemente also von der Grössenordnung des Bohrschen Radius sein, sofern sie nicht verschwinden (was aus Symmetriegründen vorkommen kann).
An dieser Stelle sei noch folgende Bemerkung gemacht: Eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, dass nicht verschwindet und somit der Übergang erlaubt ist, ist, dass und verschiedene Parität3 haben müssen, denn wenn und gleiche Parität haben, ist eine ungerade Funktion und verschwindet. Zum Beispiel haben die Wellenfunktionen und des Wasserstoffatoms beide gerade Parität4. Folglich verschwindet das entsprechende Matrixelement und der Übergang ist verboten.
Unser Ziel ist es nun ausgehend von (15.30) die Wahrscheinlichkeit , das Teilchen (Elektron) zur Zeit im Zustand anzutreffen, zu berechnen. Mit können wir (15.30) in der folgenden Form schreiben
Integration über die Zeit liefert
Wir treffen nun die Annahme, dass die Frequenz der eingestrahlten Welle (Strahlungsfeld) sehr nahe bei liegt und unterscheiden die beiden Fälle Absorption und (stimulierte) Emission (siehe Abb. 15.2):
Im Fall der Absorption der einfallenden Strahlung liegt der Energiewert des Ausgangszustands unter demjenigen des Endzustands , d.h. es gilt und damit
Folglich können wir den ersten Summanden in (15.37) vernachlässigen und wir erhalten
Für die Wahrscheinlichkeit ergibt sich somit
Im Fall der (stimulierten) Emission liegt der Energiewert des Ausgangszustands über demjenigen des Endzustands , d.h. es gilt und damit
Folglich können wir den zweiten Summand in (15.37) vernachlässigen und wir erhalten
was mit dem Ausdruck (15.39) für die Absorption übereinstimmt. Für die Wahrscheinlichkeit ergibt sich somit analog zu (15.40)
Es resultieren somit für die Absorption und die (stimulierte) Emission dieselbe Formel für die Wahrscheinlichkeit , d.h. Absorption und stimulierte Emission sind gleich wahrscheinlich.
Wir diskutieren nun diesen Ausdruck für indem wir die Funktion als Funktion von für festes betrachten (siehe Abb. 15.3).
Da wir monochromatische Strahlung betrachten, müssen wir annehmen, dass die Störung schon vor unendlich langer Zeit begann, denn eine Kosinusschwingung endlicher Zeitdauer hätte ein Spektrum endlicher Breite. Wenn wir nun also die Dauer der Störung gegen unendlich streben lassen, müssen wir gleichzeitig die Störamplitude gegen null streben lassen, damit die unseren Berechnungen zugrunde liegenden Annahmen nicht verletzt werden. Dadurch wird zusammengeschoben und ist nur noch bei von null verschieden. Die Wahrscheinlichkeit ist also nur dann von null verschieden, wenn , d.h. wenn
Diese Bedingung wird Bohrsche Frequenzbedingung oder einfach Resonanzbedingung genannt.
Bisher haben wir angenommen, dass das Strahlungsfeld durch eine monochromatische elektromagnetische Welle beschrieben wird. Wir betrachten nun in diesem Abschnitt den Fall, in dem das Strahlungsfeld durch eine elektromagnetische Welle mit kontinuierlichem Spektrum beschrieben wird. Nach Gl. (15.40) ist der Beitrag des Frequenzbereichs zwischen und zu gegeben durch
wobei die Amplitude neu von der Kreisfrequenz abhängt. Die Gesamtwahrscheinlichkeit ergibt sich durch Integration über . Dazu darf nach den Ausführungen am Ende des Abschnitts 15.2.1 das Amplitudenquadrat durch den festen Wert ersetzt werden, wenn man annimmt, dass die nichtmonochromatische Störung längere Zeit dauert. Es ergibt sich damit
Die Wahrscheinlichkeit das Teilchen (Elektron) im Zustand anzutreffen ist also folglich proportional zur Zeit und wir erhalten für die Übergangswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit
Es ist zu beachten, dass dieses einfache Resultat aufgrund der sehr vereinfachten Annahmen, die unserem Modell zugrunde liegen, zustande gekommen ist. In der Realität beobachtet man mit der Zeit oszillierende Wahrscheinlichkeiten und , d.h. es tritt abwechselnd stimulierte Emission und Absorption auf und die Besetzung der beiden Zustände und wechselt hin und her. bezeichnet dabei die Frequenz dieser Oszillation.
Wie wir in Abschnitt 15.2.1 gesehen haben, ist der Übergang (elektrischer Dipolübergang) zwischen zwei Energieniveaus unter Emission oder Absorption eines Photons möglich, wenn das entsprechende Matrixelement nicht verschwindet, ansonsten ist er verboten. Eine allgemeine notwendige Bedingung für das Nichtverschwinden eines Matrixelements haben wir bereits in diesem Zusammenhang kennengelernt: Anfangs- und Endzustand müssen unterschiedliche Parität haben.
In diesem Abschnitt leiten wir nun die Auswahlregeln für den quantenmechanischen harmonischen Oszillator und das Wasserstoffatom her, d.h. die Bedingungen für das Nichtverschwinden der Matrixelemente.
Nach Abschnitt 10.2.4 ist der quantenmechanische harmonische Oszillator durch die Eigenfunktionen und die Energieeigenwerte charakterisiert, die gegeben sind durch
wobei
Aus Gl. (15.49) ist ersichtlich, dass der Abstand benachbarter Energieniveaus unabhängig von der Quantenzahl ist und beträgt. Ebenfalls ist ersichtlich, dass die Eigenfunktionen gerade Parität haben, wenn gerade ist und ungerade Parität, wenn ungerade ist. Nach der bisher notwendigen „Paritätsregel“ für das Nichtverschwinden eines Matrixelements wären also folglich die Frequenzen , , , ... für die emittierte bzw. absorbierte Strahlung zugelassen. Jedoch sollte sich bei sehr hohen Quantenzahlen der quantenmechanische harmonische Oszillator wie ein klassischer harmonischer Oszillator verhalten und von diesem weiss man, dass er nur Strahlung der Frequenz emittieren bzw. absorbieren kann. Aus diesem Grund ist zu vermuten, dass nur die Matrixelemente benachbarter Zustände nicht verschwinden. Die entsprechende Auswahlregel wäre dann .
Wir überprüfen diese Vermutung, in dem wir das Matrixelement für zwei beliebige Zustände und berechnen. Es gilt
Einsetzen von (15.50) ergibt
Mit der Substitution erhalten wir
Nach der Rekursionsformel (I.3) gilt
Einsetzen in (15.53) ergibt
Mit Hilfe der Orthogonalitätsrelation (I.7) wird klar, dass das Matrixelement nur dann nicht verschwindet, wenn oder ist. Damit gilt:
Die Auswahlregel für elektrische Dipolübergänge zwischen den Energieniveaus beim quantenmechanischen harmonischen Oszillator lautet
Wir berechnen nun das Matrixelement für den Übergang . Einsetzen in (15.55) liefert
Mit Hilfe der Orthogonalitätsrelation (I.7) lässt sich dieser Ausdruck berechnen. Insbesondere verschwindet der zweite Summand und wir erhalten
wobei . Für den inversen Übergang ergibt sich der gleiche Ausdruck. Demzufolge zeigt das Matrixelement des quantenmechanischen harmonischen Oszillators bzgl. der Quantenzahl eine Wurzelabhängigkeit.
In den bisherigen Betrachtungen wurde angenommen, dass das elektrische Feld längs der x-Achse oszilliert. Im Beispiel des eindimensionalen quantenmechanischen harmonischen Oszillators haben wir deshalb die Oszillationsachse der Masse mit der x-Achse gleichgesetzt und das entsprechende Matrixelement bestimmt. Beim Wasserstoffatom handelt es sich nun um ein dreidimensionales System. Die Richtung des elektrischen Feldes wählen wir nicht mehr entlang der x-Achse, sondern wir unterscheiden allgemein die beiden Fälle linear polarisierte und zirkular polarisierte Strahlung. Im weiteren ist neu die Oszillation des Ladungsschwerpunkts längs der x-, y- und z-Achse zu betrachten. Entsprechend ist das zu betrachtende Matrixelement ein Vektor, dessen Komponenten gegeben sind durch
Wir vernachlässigen hier einfachheitshalber den Spin des Elektrons und können daher den Anfangszustand des Wasserstoffatom durch die drei Quantenzahlen , und und den Endzustand durch die drei Quantenzahlen , und charakterisieren. Entsprechend diesen drei Freiheitsgraden werden die Auswahlregeln aus drei Bedingungen bestehen.
Wir verwenden nun die Eigenfunktionen , welche nach Gl. (11.86) gegeben sind durch
und berechnen entsprechend die Matrixelemente , und in Kugelkoordinaten. Mit den Transformationsregeln , und und dem Volumenelement erhalten wir
Wie bereits erwähnt unterscheiden wir nun die beiden Fälle linear und zirkular polarisierte Strahlung.
Beim freien5 Wasserstoffatom ist eine einzige Achse ausgezeichnet, die z-Achse. Sie ist durch das Experiment bestimmt, das man an den Atomen durchführt. Im Fall linear polarisierter Strahlung oszilliert das elektrische Feld entlang einer festen Achse und aufgrund den Voraussetzungen, die unserer Näherung zugrunde liegen, können wir es im Volumen, in dem sich das Elektron mit grosser Wahrscheinlichkeit aufhält, als homogen betrachten. Demzufolge ist bzgl. des elektrischen Feldes nur dessen Schwingungsachse ausgezeichnet. Aus diesem Grund ist die z-Achse parallel zum elektrischen Feld zu wählen. Folglich oszilliert der Ladungsschwerpunkt entlang der z-Achse, d.h. es ist nur die Komponente des Matrixelements zu betrachten. Damit nicht verschwindet, müssen alle drei Faktoren in (15.65) ungleich null sein. Wir betrachten diese nun einzeln:
Der erste Faktor enthält keine Auswahlregel.
Nach (11.22) ist die Funktion gegeben durch
Somit ergibt sich für den dritten Faktor
Demzufolge erhalten wir folgende notwendige Bedingung für einen elektrischen Dipolübergang bei linear polarisierter Strahlung
Nach (11.36) ist die Funktion gegeben durch
wobei wir den Vorfaktor mit bezeichnen. Somit ergibt sich für den zweiten Faktor
wobei wir im letzten Schritt die Substitution vorgenommen haben. Wir verwenden nun eine für die zugeordneten Legendre-Polynome geltende Rekursionsformel, welche gegeben ist durch
Einsetzen in (15.70) ergibt
Mit Hilfe der Orthogonalitätsbedingung (11.35) für die zugeordneten Le-gendre-Polynome wird klar, dass dieser Ausdruck nur dann nicht verschwindet, wenn oder . Demzufolge erhalten wir folgende weitere notwendige Bedingung für einen elektrischen Dipolübergang bei linear polarisierter Strahlung
Wir fassen zusammen:
Bei linear polarisierter einfallender Strahlung lauten die Auswahlregeln für einen elektrischen Dipolübergang beim Wasserstoffatom
Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass die Auswahlregeln und für jedes kugelsymmetrische Potential gelten, da sie aus den Funktionen und folgen.
Betrachtet man eine Momentaufnahme der elektrischen Feldvektoren für zirkular polarisierte Wellen, so liegen diese auf einer Schraubenlinie (Helix). Bei einer rechtszirkularen Welle liegen die Spitzen der Vektoren auf einer Rechtsschraube und bei einer linkszirkularen Welle auf einer Linksschraube. Die ausgezeichnete Achse bei zirkularer Strahlung ist demzufolge parallel zur Ausbreitungsrichtung. Aus diesem Grund ist die z-Achse parallel zur Ausbreitungsrichtung zu wählen. Die Vektoren sind parallel zur xy-Ebene. In einer gegebenen Ebene = konstant wird dann ein rotierender Vektor von konstantem Betrag festgestellt. Blickt man der Welle entgegen, dann dreht sich bei der rechtszirkularen Welle im Uhrzeigersinn und bei der linkszirkularen Welle im Gegenuhrzeigersinn (siehe Abb. 15.4).
Wir betrachten nun das Wasserstoffatom bei und setzten für die harmonisch oszillierenden Komponenten und des elektrischen Feldes für eine links- bzw. rechtszirkulare Welle, welche sich entlang der positiven z-Achse bewegt
Aus Symmetriegründen muss die Drehung von das Atom in einen nichtstationären Zustand bringen, bei dem der Erwartungswert des elektrischen Dipolmoments in der xy-Ebene liegt und bei konstantem Betrag rotiert. Wir nehmen nun an, dass die Bohrsche Frequenzbedingung (15.44) erfüllt sei. Dann gilt nach (15.35) bei gleichen Koeffizienten in der Linearkombination von Anfangs- und Endzustand für die linkszirkulare Welle
Der Phasenwinkel soll dabei andeuten, dass die Drehung des Erwartungswerts des Dipolmoments nicht notwendigerweise in Phase ist mit der Drehung von . Aus Symmetriegründen müssen die Amplituden von und gleich sein und und sich als Realteil derselben komplexen Zahl darstellen lassen
und demzufolge ergibt sich für die linkszirkulare Welle die Bedingung . Für die rechtszirkulare Welle erhält man analog die Bedinung . Eine notwendige Bedingung, dass nun und nicht verschwinden, ergibt sich aus (15.63) und (15.64). Die Integrale über und stimmen überein und wir können schreiben
mit
Einsetzen von (15.66) ergibt
Demzufolge existieren nur zwei Fälle, für die und nicht verschwinden
entspricht , d.h. einer rechtszirkularen Welle, die sich längs der z-Achse fortpflanzt und entspricht , d.h. einer linkszirkularen Welle, die sich längs der z-Achse fortpflanzt.
Analog zum linear polarisierten Fall ergeben sich die weiteren Auswahlregeln zu und beliebig.
Wir fassen zusammen:
Bei zirkular polarisierter einfallender Strahlung lauten die Auswahlregeln für einen elektrischen Dipolübergang beim Wasserstoffatom